Das Auge starrt uns an, blinzelt. Plötzliche laute Musik vom Schlagzeug dazu. Das Auge fährt hoch. Zu sehen ist eine Kulisse, erhöht auf der Bühne, bestehend aus einem Raum mit rosa gepolsterten Wänden, drei Türen, einem Tisch und einer Uhr. Marie sitzt an dem Tisch, Woyzeck steht hinter ihr mit einem Messer. Beide sehen aus wie eine Kombination aus Teufel, Zombie und Alien. Weiße Gesichter, rote Augen, Hörnchen auf dem Kopf, lange Fingernägel und bunte Kostüme. Wenige Minuten später ist Marie tot, Kunstblut an der Wand zu sehen. So begann die neue Inszenierung des Dramas Woyzeck von Georg Büchner.
Woyzeck ist eines der Dramen der deutschen Literatur, welches am häufigsten und in vielen verschiedenen Inszenierungen aufgeführt wurde. Am Samstag, den 29. Oktober um 19:30 Uhr, war die Premiere der Inszenierung der Regisseurin Lucia Bihler am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.
Wir, die Q2n, waren gemeinsam mit Frau Zimpel und Herrn Kannenberg dort, um eine Premiere mitzuerleben, einen tollen Theaterabend zu haben und uns gleichzeitig auf unser Abitur vorzubereiten.
Vor Beginn der Veranstaltung haben wir uns vor dem Schauspielhaus getroffen, uns über unsere Erwartungen ausgetauscht und hatten dann auch im Schauspielhaus noch ein wenig Zeit, bevor die Vorstellung begann. Die Handlung des Dramenfragments war uns aus unserem Unterricht bekannt. Woyzeck ist ein psychisch erkrankter Mann am unteren Rande der Gesellschaft, der ständig gedemütigt wird. Gemeinsam mit seiner Freundin Marie hat er ein Kind. Als Marie ihn mit dem gut aussehenden Tambourmajor betrügt, bringt Woyzeck Marie unter Wahnvorstellungen um.
Diese Handlung fand in der neuen Inszenierung nicht nur einmal statt, sondern viermal, jedoch immer abgewandelt. Der Mord geschah dabei immer zu Beginn, wobei sich Woyzeck einmal selber umbrachte und bei der letzten Variante niemand starb. Die Bühne bestand nicht nur aus einem Raum, wie oben beschrieben, sondern aus vier (fast) gleichen Räumen, angeordnet auf einer Drehbühne. Das Auge erschien immer wieder zwischen einzelnen Szenen, gemeinsam mit dem Schlagzeug. Der Schlagzeuger, in einem ähnlichen Kostüm wie Marie und Woyzeck, spielte auch in den anderen Szenen verschiedene Instrumente, um die Handlungen auf der Bühne zu verdeutlichen. Doch nicht nur der Musiker, sondern alle Darsteller waren ähnlich kostümiert wie Marie und Woyzeck.
Die Inszenierung bestand aus vielen Eindrücken, die gleichzeitig auf uns einprasselten, sodass, als am Ende die Zuschauer nach einer Wiederholung gefragt wurden, prompt ein „nein“ zu vernehmen war.
Nach der Vorstellung haben wir noch ein Gruppenbild im Theatersaal machen dürfen und uns über unsere Eindrücke ausgetauscht. Insgesamt hat die Inszenierung meiner Klasse sehr gefallen .
Auch ich fand sie in dem Moment gut, wenn auch sehr gruselig. Natürlich ist Woyzeck ein düsteres Stück, aber es war für mich nicht auf eine schaurige Art gruselig. Die grellen Kostüme, das rosa Bühnenbild, das laute Schlagzeug, das blinzelnde riesige Auge, das Kunstblut und die Morde, haben vielmehr zu einer bizarren Art von Grusel geführt. All dies hat zur Unterhaltung beigetragen. Doch je mehr Gedanken ich mir, auch im Hinblick auf diesen Artikel, darüber gemacht habe, umso mehr sind mir Aspekte aufgefallen, die mich stören.
Welchen Sinn hatten die Kostüme? Was sollten die verschiedenen Ausgänge dem Zuschauer vermitteln? Warum wurde die Drehbühne gewählt? Warum geschah der Mord am Anfang? Wie hängt das alles miteinander zusammen und was soll mich diese Inszenierung lehren? Besonders die letzte Frage stelle ich mir in Teilen immer noch.
Dass das Stück das Thema Femizid, die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund ihres Geschlechts, behandeln soll und dies der prägende Inhalt der Inszenierung ist, habe ich dem Programmheft entnommen, in dem dieses Thema ausführlich behandelt wird. Dies erklärt, warum der Mord an Marie direkt am Anfang geschah. Ich habe mir allerdings die Frage gestellt, wie dieses Thema darüber hinaus verdeutlicht wurde. Im Programmheft steht ein Zitat von Marc Thomas: „Wenn man einen Täter dazu bringt, den Gewaltkreislauf zu durchbrechen, dann produziert er keine Opfer mehr.“ Das sollten die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten dementsprechend darstellen.
Alles andere Grelle und Laute war meiner Meinung nach nur der Modernität geschuldet und hatte nichts mit dem Thema Femizid zu tun, sondern verdrängte dieses vielmehr aus dem Vordergrund.
Die vielen anderen Eindrücke der Szenerie haben mich davon abgelenkt, dass ein so wichtiges Thema Mittelpunkt sein soll. Ich habe mir zu viele Gedanken über die Darstellungsweise gemacht und somit nicht über das, was die Inszenierung mir eigentlich mitteilen wollte. Diese Inszenierung, so grell, krass und modern, hat das Wesentliche aus dem Auge verloren. Das Moderne wirkt auf mich immer mehr erzwungen, als müsse man diese Inszenierung besonders machen – moderner als alle anderen bisherigen Inszenierungen.
Doch die Lehre, die der Zuschauer hier mitnehmen soll und die so ausführlich im Programmheft beschrieben wird, wäre wohl deutlicher gewesen, wenn die Regisseurin die Modernität angemessen eingesetzt hätte.
Dennoch muss ich sagen, dass mir die Vorstellung an dem Abend gut gefallen hat, da ich zu Beginn von der Modernität beeindruckt war und sie zur Unterhaltung beigetragen hat. Außerdem habe ich für mich erfahren, dass es sinnvoll ist, sich mit Abstand nochmals Gedanken zu machen, Erlebnisse zu reflektieren und sich erneut mit ihnen auseinanderzusetzen, um sich eine eigene Meinung bilden zu können.
Es war ein toller Theaterabend und bestimmt nicht der letzte 🙂
Von Luise Bethkenhagen (Q2n)