„Aschkenas“ – mit diesem Wort aus dem Hebräischen bezeichneten im Frühen Mittelalter eingewanderte Juden ihre neue Heimat im westlichen Mitteleuropa, dem später gegründeten Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Während wir beim Thema „Jüdisches Leben in Deutschland“ zunächst vor allem an dessen Verfolgung und Vernichtung in der Zeit des Nationalsozialismus denken, verlief das Zusammenleben von Christen und Juden während der ersten Jahrhunderte in relativem Frieden miteinander.
Den wechselvollen Kapiteln des jüdischen Lebens in Deutschland gingen wir, die Klasse 10b, während eines Besuchs der Ausstellung „Aschkenas“ in der Friedrichsgaber Johanneskirche auf den Grund. Im Anschluss an eine informative Einführung in das Thema durch Frau Pastorin Wallmann konnten wir anhand von 20 Schautafeln und eines Frage- / Rallyebogens die Geschichte des jüdischen Lebens auf deutschem Territorium nachverfolgen.
Wir erfuhren von der Blütezeit dieses Lebens in den sogenannten SchUM-Städten am Rhein (die Abkürzung bezieht sich auf die hebräischen Anfangsbuchstaben der Städte Speyer, Worms und Mainz), die mit Papst Urbans Aufruf zum (1.) Kreuzzug im Jahr 1096 ein jähes Ende fand, weil man glaubte, nicht nur die Muslime im sogenannten Heiligen Land, sondern auch Andersgläubige in der eigenen Nachbarschaft bekriegen zu müssen. Nach Plünderungen und Morden an der jüdischen Bevölkerung wanderte ein großer Teil der Überlebenden nach Osteuropa, vor allem ins Königreich Polen, aus. Aus den Versatzstücken der von den Migranten gesprochenen deutschen Sprache und Wörtern aus dem Hebräischen sowie slawischen Sprachen entwickelte sich dort das Jiddische, von der Bevölkerung Osteuropas häufig als „Dajtsh“ (=Deutsch) bezeichnet.
Weil man sie für Kindesentführungen und -morde, Schändungen von christlichen Heiligtümern, Brunnenvergiftung (also die Pest) verantwortlich machte und ihnen Wucher und Betrug vorwarf, blieb die Situation für die meisten der auf deutschem Gebiet verbliebenen Juden weiterhin schlecht. Sie durften keine handwerklichen Berufe erlernen, keinen Grund und Boden besitzen, und regelmäßig kam es zu antijüdischen Ausschreitungen (Pogromen). Erst mit der von Bismarck vorangetriebenen Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 wurde in dessen eigentlich ja antiliberaler Verfassung eine rechtliche Gleichstellung der in Deutschland lebenden jüdischen Bevölkerung festgeschrieben. Antijüdische Klischeevorstellungen bleiben allerdings auch in der Zeit der juristischen Gleichstellung während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik in den Köpfen vieler Menschen verankert, und zu den religiösen Vorurteilen kamen zunehmend rassenantisemitische Irrlehren, von denen u.a. Hass-Zeichnungen von Juden mit langen Hakennasen, abstehenden Ohren und krummen Beinen zeugen. Zudem wurden Juden für den verlorenen 1. Weltkrieg (Dolchstoßlegende), die Weltwirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit ab 1929 und überhaupt alle negativen Begleiterscheinungen der Moderne verantwortlich gemacht.
„Rassenkunde“ wurde während der NS-Zeit Unterrichtsstoff an den Schulen, und mit dem Boykott-Tag am 1. April 1933 vollzog sich unter den Augen der Öffentlichkeit und deren teils aktiven Teilnahme die voranschreitende Entrechtung und Verfolgung der Juden, deren grausamer Höhepunkt in der Vorkriegszeit die brutalen Ausschreitungen während der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 waren, ein Ereignis, das sich in diesem Herbst zum 85. Mal jährt. Nach dem November-Pogrom, früher häufig verharmlosend als „Reichskristallnacht“ bezeichnet, konnte kaum noch ein Zweifel darüber bestehen, was das nationalsozialistische Deutschland mit der jüdischen Bevölkerung im eigenen Land und später in den während des Krieges besetzten Gebieten vorhatte…
Für die meisten von uns bot der Besuch der Ausstellung eine Veranschaulichung von Themen, die wir im Laufe unserer bisherigen Schulzeit in den Fächern Geschichte und Religion im Unterricht behandelt haben – allerdings nie so zusammenhängend, wie es die Ausstellung darstellt. Zugleich boten das Thema und der Besuch der Ausstellung in einer Kirche viele Anknüpfungspunkte an den Roman „Sansibar oder der letzte Grund“, den wir gerade im Deutsch-Unterricht lesen.
Die lohnenswerte Ausstellung kann noch bis zum 27.10.2023 in der Johanneskirche in der Bahnhofstraße 77 besucht werden.